Realität und Reaktion.
Was ist die objektive Realität und wie reagieren wir darauf? Diese auf den ersten Blick so banal anmutende Frage, birgt einige Tücken in sich. Die Unterscheidung ist nicht immer so einfach, wie es scheint. Gedankenmuster und Glaubenssätze, die über einen langen Zeitraum bestehen, werden sehr leicht für objektiv und real gehalten. Je unbewusster ein Mensch ist, desto schwerer fällt ihm diese Unterscheidung. Was auch logisch erscheint, denn, wenn man sich vollkommen mit einem Reaktionsmuster identifiziert und dieses als solches nicht erkennt, meint man wirklich, dass die Welt so ist, wie man sie persönlich wahrnimmt. Die eigene subjektive Sichtweise wird zur einzig gültigen Realität. Diese eingeschränkte Wahrnehmung führt sehr leicht zu Missverständnissen und Konflikten. Bei einem derart ich bezogenen Standpunkt kommt man gar nicht auf die Idee, dass eine andere Person die Dinge anders erleben könnte. Zumindest gesteht man es ihr nicht zu. Solche Menschen meinen im Besitz der einzig gültigen Wahrheit und das Maß aller Dinge zu sein.
Dies beginnt bei so harmlosen Behauptungen wie: „Das Wetter ist heute scheußlich.“
Wie kann das Wetter scheußlich sein? Das Wetter ist immer so wie es ist, dass wir es als scheußlich empfinden, liegt einzig an unserem subjektiven Empfinden. Jemand ärgert sich zum Beispiel fürchterlich über ein Regenwetter, da er vielleicht eine Hochzeit im Freien geplant hat und ein Landwirt freut sich, da dies die Rettung seiner Ernte bedeutet.
Beim Wetter ist dies für die meisten Menschen noch nachvollziehbar, da es emotional nur selten so stark besetzt ist. Bei Meinungsverschiedenheiten in Partnerschaften oder im Berufsleben sieht dies meist schon ganz anders aus. Je intensiver man emotional in eine Situation verstrickt ist, umso weniger ist man bereit den Sachverhalt, so wie er nun mal ist, anzuerkennen. Dann sieht man alles durch die Brille der eigenen Befindlichkeit und kann schwerlich klare Entscheidungen treffen. Genau diese Fähigkeit ist aber für ein friedvolles Zusammenleben von entscheidender Bedeutung.
Daher meine Empfehlung. Trainieren Sie bei harmlosen Situationen. Wenn Sie zum Beispiel einen grausam schmeckenden Kaffee vorgesetzt bekommen, machen Sie sich bewusst, dass der Kaffee nicht grausam sein kann, sondern er Ihnen nur nicht schmeckt. Es wird Menschen geben, die den Kaffee genau so, am liebsten trinken. Was einem aber nicht davon abhalten sollte, ein ehrliches Feedback zu geben. Es macht aber in der Kommunikation einen gewaltigen Unterschied, ob man sagt, dass einem der Kaffee nicht schmeckt, oder dass der Kaffee grausam ist. Im ersten Fall wird das Gegenüber die Kritik wesentlich leichter annehmen können, da Sie lediglich ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Im zweiten Fall unterstellen Sie ihm aber, dass er keinen Kaffee zubereiten kann. Das kann sehr leicht als persönlicher Angriff gedeutet werden. Bei der Verteidigung wird der Kaffee sehr schnell zum Nebenprodukt, viel wichtiger werden die Fragen: Wer ist im Recht und wer kann sich durchsetzen? Der Kaffee ist ein belangloses Beispiel, aber der Mechanismus ist der Gleiche, wie bei schwerwiegenden Lebensentscheidungen. Nur wenn der Sachverhalt und die Reaktion auf diesen klar unterschieden werden kann, sind konstruktive und nachhaltige Entscheidungen möglich.
Es gibt zahlreiche Gelegenheiten, um diese Unterscheidungsfähigkeit zu trainieren und man sollte sie wirklich nutzen. Denn nur dann, schafft man es auch in schwierigen Lebenssituationen die Ruhe zu bewahren und situationsadäquat zu reagieren. Solange die eigene Reaktion mit dem Sachverhalt verstrickt ist, ist man immer ein hilfloses Opfer der Umstände. Das ist die Basis aller Opferstorys und Misserfolge. Der einzige Weg dieser Entwicklung zu entrinnen, ist Bewusstwerdung.
Wolfgang Wieser
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