Das 20 Millionen Dollar Experiment
An einem wunderschönen Herbsttag sucht ein alter Goldgräber in den Bergen Nordamerikas nach seinem geliebten Edelmetall. Er ist alt, seine Knochen schmerzen und das bisschen, das er in seinem Leben gefunden hat, reicht gerade mal, dass er nicht verhungert. Müde setzt er sich auf einen großen Felsen und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Da fällt ihm auf, dass sich dieser Fels sehr seltsam anfühlt. Er ist ungewöhnlich kalt und seine gesamte Oberfläche ist von einer schwarzen Schmutzschicht bedeckt. Vorsichtig beginnt er mit seiner Hacke den Schmutz zu entfernen. Was nun zum Vorschein kommt, übersteigt seine kühnsten Träume.
Pures Gold.
Seine Hände beginnen zu zittern und er wagt es kaum zu atmen. Der gesamte Fels, der die Größe eines kleinen Berges hat, ist durch und durch aus reinem Gold. Diese Menge übersteigt alle Funde, die je auf dieser Erde gemacht wurden und der Wert sprengt alle Vorstellungsgrenzen.
Da hat dieser alte Goldgräber eine Vision.
Die Vermögenssumme ist so hoch, dass sich mit einem Schlag das Elend dieser Welt beenden lässt. Dieser Gedanke hat etwas Göttliches und lässt ihn nicht mehr los. Er beschließt mit jedem, wirklich jedem Menschen dieser Welt zu teilen.
Diese Idee gefällt auch den Regierungen. Mit einer unvorstellbaren Solidarität helfen tausende von Menschen diesen Traum zu verwirklichen. Einige Monate später besitzt jeder einzelne Erdenbürger Gold im Wert von 20 Millionen Dollar. Keiner braucht mehr einem anderen etwas zu neiden oder zu stehlen, jeder hat mehr als er in seinem Leben verbrauchen kann.
Doch sehr schnell tauchen massive Probleme auf. Es gibt nirgends mehr Personal. Geschäfte, Ämter und Hotels stehen leer. Es verkehren keine öffentlichen Verkehrsmittel, die Tankstellen bleiben unbesetzt. Kein Mensch braucht mehr zu arbeiten, es sind ja nun alle Millionäre.
So schön dieses Experiment begonnen hat, scheint es nun doch in die Verzweiflung zu führen, bis die ersten Menschen beginnen in ihre alten Berufe zurückzukehren. Sie tun dies mit einer gewissen Leichtigkeit, denn sie brauchen keinen Gehalt, sie sind von niemandem abhängig, sie arbeiten, weil sie es möchten. In kürzester Zeit werden es immer mehr und es beginnt sich ein ganz anderes Lebensgefühl zu verbreiten. Jeder Zwang verschwindet. Durch die Freude an der Arbeit verbessert sich zunehmend die Qualität der Produkte und Dienstleistungen. Die Unternehmen würden jetzt ohne große Anstrengungen gewaltige Gewinne machen, nur, es braucht keiner mehr Gewinne.
Ein neues Zeitalter der Gesellschaft bricht heran und es beginnt sich alles prächtig zu entwickeln, bis ein sehr kluger Finanzexperte plötzlich eine erschreckende Erkenntnis hat: „Wenn es auf der Erde so viel Gold gibt, ist es ja nichts mehr Wert. Ihr seid nicht reich, das ist eine Illusion.“ Doch ihm antworten die Menschen, die nun glücklich in ihren Berufen sind: „Die einzige Illusion ist die, dass der Reichtum von außen kommt.
Diese Geschichte ist natürlich frei erfunden, die daraus gewonnene Erkenntnis aber nicht.
Wolfgang Wieser